Verständlich und transparent

Die Basler Rechtsprofessorin Daniela Thurnherr stellt dem Bundesverwaltungsgericht ein gutes Zeugnis aus. Seine Rechtsprechung sei qualitativ hochstehend, seine Urteile kohärent.

20.05.2021 - Katharina Zürcher

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Portrait Daniela Thurnherr
Daniela Thurnherr: «Entscheide müssen primär methodisch korrekt und sorgfältig gefällt werden.» Foto: Daniel Winkler

Daniela Thurnherr, Sie sind seit Bestehen des BVGer als Professorin für Öffentliches Recht tätig. Wie hat sich die Rechtsprechung in dieser Zeit verändert?

Heute werden Rechtsfragen, die früher durch die Beschwerdedienste der Departemente und eine Vielzahl von Rekurskommissionen beurteilt wurden, von einem einzigen, professionellen Gericht behandelt. Dies hat die Qualität der Rechtsprechung sowie die Kohärenz der Urteile zweifellos gefördert. Zudem ist die Rechtsprechung transparenter geworden. Auch dank der technischen Möglichkeiten hat sich der Zugang zu den Entscheiden deutlich verbessert. Das Bundesverwaltungsgericht verfügt über eine informative Webseite, auf der nicht nur Urteile, sondern auch Hinweise auf wichtige Aktualitäten publiziert werden – diese Transparenz ist vorbildlich.

Was zeichnet eine gute Rechtsprechung neben der Transparenz sonst noch aus?

Die Rechtsprechung ist dann gut, wenn sie ihre primäre Funktion, den Rechtsfrieden herzustellen, erfüllt. Gute Rechtsprechung ist der Wahrheit, der Gerechtigkeit, der Rechtssicherheit und dem Effizienzanliegen verpflichtet. Zu einer qualitativ hochstehenden Rechtsprechung gehören verschiedene Aspekte: der methodisch korrekte Umgang mit dem Sachverhalt und den Rechtsfragen, die Entscheidfindung innert angemessener Frist und die Fairness des Verfahrens. Die Qualität der Rechtsprechung hängt letztlich von der Summe dieser Faktoren bzw. vom individuellen Beitrag jedes Richters und jeder Richterin ab. Unabdingbar sind daher eine gute Vorbereitung und ein seriöses Aktenstudium.

Wie beurteilen Sie die Qualität der bundesverwaltungsgerichtlichen Urteile?

Die Qualität der Urteile ist hoch. Natürlich kann man – wie bei allen Gerichten – an einzelnen Urteilen Kritik üben; insgesamt leistet das Bundesverwaltungsgericht aber sehr überzeugende Arbeit. Indiz dafür, wenngleich natürlich nicht das allein ausschlaggebende Kriterium, bilden die Statistiken: Von den nicht letztinstanzlichen Urteilen wird jeweils nur ein sehr kleiner Prozentsatz an das Bundesgericht weitergezogen, und von diesen wiederum wird weniger als ein Fünftel ganz oder teilweise gutgeheissen. Dies zeigt zum einen die grosse Akzeptanz bei den Rechtsunterworfenen und zum andern, dass das Bundesgericht grösstenteils zu keinem anderen Ergebnis als das Bundesverwaltungsgericht gelangt.

Worin konkret zeigt sich die Qualität eines Urteils?

Die Qualität eines Urteils zeigt sich sowohl in seinem Inhalt als auch im Verfahren, in dem es zustande gekommen ist. Diese beiden Faktoren sind auch ausschlaggebend für die Akzeptanz, denn entscheidend dafür ist nicht nur das Ergebnis. Wie sozialwissenschaftliche Studien zeigen, steigt die Akzeptanz auch, wenn das Urteil verstanden und das Verfahren als fair empfunden wird. Es ist zentral, dass die Parteien gehört, ihre Anliegen aufgenommen werden und sie eine Begründung erhalten. Im Spruchkörper darf zudem keine Befangenheit vorliegen und er muss so zusammengesetzt sein, dass Verfahrensoffenheit gewährleistet ist.

Wie soll ein Urteil formuliert sein?

Wichtig finde ich, dass Urteile adressatengereicht formuliert sind und auch von Parteien ohne juristische Bildung verstanden werden können. Dies bedingt vor allem kürzere statt längere Sätze, Verzicht auf Substantivierungen und weniger Nebensätze. Das Ziel sollte sein, präzise und gleichzeitig so einfach wie möglich zu schreiben. Für aussenstehende Leserinnen und Leser, auch jene aus der Wissenschaft, ist im Hinblick auf die korrekte Einordnung eines Entscheids zudem bedeutsam, dass der Sachverhalt sorgfältig erörtert wird. Findet eine zu starke Vermischung mit den rechtlichen Erwägungen statt, kann Unklarheit darüber entstehen, was als eigentliches Sachverhaltselement feststand und was im Rahmen der Begründung hergeleitet wurde.

«Entscheide müssen primär methodisch korrekt und sorgfältig gefällt werden.»

Daniela Thurnherr

Wie wichtig ist der zeitliche Aspekt?

Die Verfahrensdauer ist Teil der Verfahrensgerechtigkeit, und die Rechtssicherheit verlangt, dass staatliche Verfahren innert nützlicher Frist ein Ende finden. Dass innert angemessener Frist entschieden wird, ist ein bedeutendes Qualitätsmerkmal, aber natürlich nicht das einzige. Entscheide müssen primär methodisch korrekt und sorgfältig gefällt werden. Das Durchführen eines rechtsstaatlich einwandfreien Verfahrens benötigt seine Zeit und setzt der Beschleunigung Grenzen. Die adäquate Verfahrensdauer hängt untrennbar mit der Komplexität eines Falls zusammen. Für nicht mit dem Gerichtsbetrieb vertraute Parteien könnte es hilfreich und akzeptanzfördernd sein, wenn man ihnen auf Nachfrage den ungefähren Zeitpunkt der Urteilseröffnung mitteilen würde.

Wie soll das Gericht mit dem Spannungsfeld Qualität / Quantität umgehen?

Die Geschäftslast des Bundesverwaltungsgerichts ist gross, der Erledigungsdruck hoch. Damit dies nicht zu Abstrichen bei der Qualität führt, kann das Gericht die Effizienz bis zu einem gewissen Grad mit organisatorischen Mitteln – Technik, Spezialisierung, flexibler Personaleinsatz – steigern. Wenn diese gerichtsinternen Massnahmen an Grenzen stossen, bleibt als Ultima Ratio nur, der Politik den Bedarf nach mehr Mitteln zu signalisieren. Sonderprozessvorschriften wie die Kognitionsbeschränkung im Asylrecht können ebenfalls zu einer Entlastung führen, doch bergen sie die Gefahr von Unübersichtlichkeit im Prozessrecht und stellen die innere Kohärenz der Rechtsordnung infrage.

Führen kürzere Urteile zu mehr Effizienz?

Da Urteile nichts Unnötiges enthalten sollten, lohnt es sich, sie nach dem Schreiben nochmals kritisch zu betrachten und verzichtbaren Ballast abzuwerfen. Dies bedeutet für die Gerichtsschreibenden zunächst allerdings einen Mehraufwand – erinnert sei an das gemeinhin Blaise Pascal zugeschriebene Bonmot, der einen langen Brief mit der Begründung rechtfertigte, er habe keine Zeit gehabt, sich kürzer zu fassen. Kürzere Urteile führen insofern nicht zwingend zu mehr Effizienz, fördern aber zweifellos die Qualität der Rechtsprechung, indem sie regelmässig eine Schärfung der Argumentation bedingen.

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