Von St. Gallen nach Schaffhausen

Gleich drei ehemalige BVGer-Gerichtsschreibende arbeiten heute am Obergericht Schaffhausen: Barbara Kradolfer als Gerichtsschreiberin, Oliver Herrmann und Kilian Meyer als Richter. Sie fühlen sich in der Stadt am Rhein sehr wohl.

25.04.2023 - Katharina Zürcher

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Portrait Oliver Hermann und Kilian Meyer
Oliver Hermann (links) und Kilian Meyer (rechts) fühlen sich wohl in Schaffhausen. Foto: Katharina Zürcher

Oliver Herrmann, Barbara Kradolfer und Kilian Meyer empfangen die Besucherin im Gerichtssaal an der Frauengasse 17 in der Altstadt Schaffhausens. Das Obergericht hat hier seinen Hauptstandort, ein zweiter liegt einige Fussminuten entfernt. Dass gleich drei ehemalige Gerichtsschreibende des Bundesverwaltungsgerichts den Weg hierher gefunden haben, ist bei einem Team von fünf Richterinnen und Richtern sowie zehn Gerichtsschreibenden bemerkenswert. Alle drei fühlen sich rundum wohl in der nördlichsten Stadt der Schweiz und haben schon viele Kontakte geknüpft. «Die Leute sind sehr offen hier; man merkt, dass man in einer Grenzregion lebt», sagt Barbara Kradolfer, die ursprünglich aus dem Raum Basel stammt. Der gebürtige Berner Kilian Meyer pflichtet ihr bei, und Oliver Herrmann sagt: «Als Zürcher muss ich mir sonst oft Sprüche über meinen Dialekt anhören – hier nicht.»

Kilian Meyer: «Mehr Abwechslung und Verantwortung»

Kilian Meyer geniesst es, zu Fuss in einer Viertelstunde am Gericht zu sein, «zuerst dem Rhein entlang, dann durch die Altstadt». In Büren an der Aare aufgewachsen, gefalle es ihm zwischen Fluss und Jura-Ausläufer Randen. Auch mit seiner richterlichen Tätigkeit ist er sehr glücklich: «Sogar nach fünf Jahren stosse ich immer wieder mal auf etwas Neues, das ich noch nie gemacht habe.» Sei das der aushilfsweise Vorsitz in einem Straffall oder die Einberufung eines Schiedsgerichts in Sozialversicherungssachen. «Was ich gesucht habe, nämlich etwas mehr Verantwortung und Abwechslung, habe ich gefunden.» Besonders schätzt er die internen Beratungen und die Zusammenarbeit mit den Gerichtsschreibenden sowie die Befragungen und öffentlichen Verhandlungen. «Diese Mündlichkeit hat mir am Bundesverwaltungsgericht manchmal etwas gefehlt.»

Gern denkt er dafür an die vielen Leute zurück, die er in St. Gallen kennengelernt und mit denen er gute Gespräche geführt hat. Auch das mehrsprachige Miteinander hat er in bester Erinnerung. «Meine Italienischkenntnisse erodieren, seit ich keinen Kurs mehr besuche.» Nach St. Gallen gezogen war er seinerzeit für das Rechtsstudium. Nach dem Doktorat arbeitete er fünf Jahre als Gerichtsschreiber am Bundesverwaltungsgericht – zuerst vier Jahre in der heutigen Abteilung VI, danach ein Jahr im Sozialversicherungsrecht in der Abteilung III. Bei seinem Amtsantritt in Schaffhausen Anfang 2017 betrug sein Pensum 50 Prozent, heute sind es 70. «Das erlaubt es mir, nebenher noch anderes zu machen», sagt der verheiratete Vater eines einjährigen Mädchens. So präsidiert er unter anderem die kantonale Aufsichtsbehörde über das Anwaltswesen.

Oliver Herrmann: «Vieles spielt sich vor der Haustür ab»

Oliver Herrmann amtet ebenfalls seit dem Jahr 2017 als Richter in Schaffhausen. Da sein Pensum zunächst nur 50 Prozent umfasste, behielt er ein 50-Prozent-Pensum als Gerichtsschreiber am Bundesverwaltungsgericht bei, wo er ab Mitte 2014 in der Kammer 1 der Abteilung I tätig war. Ende März 2019 verliess er das BVGer ganz; heute beträgt sein Pensum in Schaffhausen 90 Prozent. Auch ihm und seiner Familie – die beiden Kinder sind sechs und vier Jahre alt – gefällt es sehr gut in der Stadt am Rhein. «Wir wohnen am Fuss des Randen, wo es viele Möglichkeiten für Aktivitäten mit den Kindern und schöne Joggingstrecken gibt.»

Vom Bundesverwaltungsgericht ist Oliver Herrmann mit einem lachenden und einem weinenden Auge weggegangen. Neben den Menschen habe er das funktionale Gebäude mit modernen Arbeitsplätzen, grosser Bibliothek und eigener Kantine geschätzt. Auch die Dienstleistungen des Gerichts – etwa im Bereich Betrieb und Sicherheit, IT-Support oder Kommunikation – seien sehr angenehm gewesen. Dafür ist sein Einfluss als einer von fünf Richtern und Richterinnen heute grösser: «Ich kann mitdiskutieren und darf oder muss mitentscheiden.» Anders als am BVGer sei man hier auch näher an den Themen dran: «Vieles spielt sich quasi vor der Haustür ab; an gewissen Streitgegenständen läuft man vorbei oder ist selbst davon betroffen.»

«Der grösste Unterschied liegt in der Übersichtlichkeit des Gerichts in der Vielfalt der Rechtsgebiete, die hier grösser ist.»

Barbara Kradolfer

Barbara Kradolfer: «Bereichernd und höchst spannend»

Vom Trio noch am wenigsten lange wohnt und arbeitet Barbara Kradolfer in Schaffhausen. Dafür war sie am längsten am Bundesverwaltungsgericht tätig, nämlich von dessen Gründung im Jahr 2007 bis im Herbst 2020. «Ich bin mit dem Gericht von Bern, wo ich längere Zeit gewohnt habe, nach St. Gallen gezogen.» Ihrem Spezialgebiet, dem Ausländer- und Bürgerrecht, ist sie die ganze Zeit treugeblieben. Ihre heutige Tätigkeit ähnelt derjenigen am BVGer. «Der grösste Unterschied liegt in der Übersichtlichkeit des Gerichts in der Vielfalt der Rechtsgebiete, die hier grösser ist.» Sie empfindet es als grosse Bereicherung, dass sie sich in neue Materien einarbeiten konnte. «Kantonales Verwaltungsrecht und Unfallversicherungsrecht zu behandeln, ist höchst spannend.»

Die zehn Gerichtsschreibenden am Obergericht Schaffhausen sind nicht einem bestimmten Richter oder einer Richterin zugeteilt, sondern auf gewisse Rechtsgebiete spezialisiert. Bei Barbara Kradolfer ist das nach wie vor das Migrations- und Bürgerrecht. «Da der Kanton aber eine andere Aufgabe hat als der Bund, ist auch der Blickwinkel ein anderer.» Bei der Urteilsfindung haben die Gerichtsschreibenden beratende Stimme.

Der Besuch an der Frauengasse 17 in Schaffhausen neigt sich seinem Ende entgegen. Gibt es noch etwas, das die beiden Schaffhauser Oberrichter und die Gerichtsschreiberin ihren St. Galler Kolleginnen und Kollegen mitteilen möchten? Barbara Kradolfer muss nicht lange überlegen; stellvertretend für alle antwortet sie: «Besuch ist hier immer willkommen.»

Stadt, Land, Fluss

Die Stadt Schaffhausen zählt knapp 37’000 Einwohnerinnen und Einwohner. Barbara Kradolfer empfiehlt einen Stadtbummel: «Die Altstadt mit ihren Gassen und den mit Erkern geschmückten Häusern ist wunderschön.» Im Städtchen, über dem die Festungsanlage Munot wacht, gibt es 300 zum Teil sehr kunstvoll gestaltete Erker zu bewundern. Im Rathaus ist der historische Ratssaal sehenswert, der auch als Gerichtssaal dient. Hier tagt seit dem Jahr 1412 ununterbrochen das Parlament. Auch ein Besuch des in einem ehemaligen Benediktinerkloster untergebrachten Museums zu Allerheiligen ist empfehlenswert. Dort erfährt man unter anderem, dass Schaffhausen am 1. April 1944 aus Versehen von den Alliierten bombardiert wurde, wobei 40 Menschen starben und Hunderte schwer verletzt und obdachlos wurden.

Viel zu entdecken gibt es auch in der Umgebung der Stadt. Im Waldfriedhof tummeln sich jeweils während zweier Wochen im Juni/Juli bei Einbruch der Dunkelheit Tausende von Glühwürmchen. Der Randen wiederum lockt mit aussichtsreichen Wanderwegen. Die meisten Touristen aber zieht der Rheinfall an. Dort stürzen sich jede Sekunde Hunderte Kubikmeter Wasser über die 23 Meter hohen und bis zu 150 Meter breiten Felsen. Den Rhein erlebt man auch schön vom Schiff aus. So empfehlen Oliver Herrmann und Kilian Meyer eine Schifffahrt, entweder flussaufwärts ins malerische Städtchen Stein am Rhein oder flussabwärts nach Eglisau, wobei recht abenteuerlich drei Wehrstufen zu überwinden sind.

(zuk)

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