Medienmitteilung zum Urteil F-1724/2019, F-1752/2019

Asylwesen: Bundessubventionen für die Kantone

Bei ungerechtfertigtem Verstreichen der ordnungsgemässen Fristen für Dublin-Überstellungen kann der Bund die Subventionen für die Kantone streichen.

08.07.2022

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Foto: Keystone
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Generell obliegt die Unterstützung Bedürftiger den Kantonen. Dieser Grundsatz gilt auch für den Asylbereich. Hier sind die Kantone beauftragt, den Menschen, die sich in der Schweiz aufhalten und die ihnen zugewiesen sind, Sozialhilfe und Nothilfe zu leisten. Zu diesem Zweck richtet der Bund Pauschalabgeltungen aus. Namentlich sind die Kantone für den Vollzug der Überstellungen zuständig, die das Staatssekretariat für Migration (SEM) bei einem Nichteintretensentscheid im Rahmen des Dublin-Verfahrens anordnet. Diesbezüglich sieht Artikel 89b Asylgesetz (AsylG) vor, dass der Bund bereits ausgerichtete Pauschalabgeltungen zurückfordern kann, wenn ein Kanton ohne objektive Gründe seine Vollzugsaufgaben nicht oder nur mangelhaft erfüllt. Zudem kann der Bund darauf verzichten, solche Pauschalabgeltungen zu entrichten, wenn diese Nichterfüllung oder mangelhafte Erfüllung zu einer Verlängerung der Aufenthaltsdauer der betroffenen Person in der Schweiz führt.

Nicht erfüllte Dublin-Überstellung durch den Kanton
Der Kanton Neuenburg hat zwei Fälle vor das Bundesverwaltungsgericht (BVGer) gebracht, bei denen das SEM festgestellt hatte, dass die sechs- respektive achtzehnmonatige Überstellungsfrist ungenutzt verstrichen war, weshalb ein nationales Verfahren eingeleitet werden musste. Gemäss SEM hatte die Nichterfüllung dieser Überstellungen auf keinen objektiven Gründen beruht. In der Folge verfügte es, die Bundessubventionen nach Ablauf der ordnungsgemässen Frist zu streichen. Diese Verfügung wurde vom Kanton Neuenburg mit dem Argument angefochten, den Kantonen müsse ein gewisser Handlungsspielraum zuerkannt werden und sie seien nicht dazu anzuhalten, die vom SEM angeordneten Überstellungen «blind» auszuführen.

Beim ersten Fall handelt es sich um einen eritreischen Staatsangehörigen, der nach Italien überstellt werden sollte. Der Kanton leitete aber keine Schritte ein, weil seine Ehefrau, die er in der Schweiz wiedergefunden hatte, in fortgeschrittenem Stadium schwanger war. Diese war auch von einem Nichteintretensentscheid mit angeordneter Überstellung betroffen. Nach Verstreichen der Überstellungsfrist und nach Einleiten des nationalen Verfahrens erlangte der Betroffene in der Schweiz Asyl. Seine Ehefrau und das gemeinsame Kind kamen in den Genuss des Familiennachzugs.

Im zweiten Fall unterliess es der Kanton, einen türkischen Staatsangehörigen nach Bulgarien zu überstellen, nachdem dieser kurzzeitig aus dem Durchgangszentrum verschwunden war (weshalb die Vollzugsfrist achtzehn Monate dauerte) und zwei Selbstmordversuche begangen hatte.

Formale Beschwerdegründe abgewiesen
In seinen Beschwerden wirft der Kanton Neuenburg dem SEM vor, den Grundsatz der Gewaltenteilung und seinen Anspruch auf rechtliches Gehör zu verletzen sowie die rechtserheblichen Sachverhalte ungenau und unvollständig erhoben zu haben. Diese drei formalen Beschwerdegründe weist das BVGer ab.

Vollzugsföderalismus
Das Gericht hat geprüft, ob der Kanton Neuenburg seine Pflichten beim Vollzug der Überstellungen an Dublin-Staaten verletzt hat. Dabei erinnert es daran, dass die Bundesgesetzgeberin hier, im Gegensatz zum ordentlichen Ausländerrecht, den Kantonen keinerlei Spielraum überlässt. Und sogar wenn sie einen gewissen Spielraum hätten, würde dies keinesfalls ermöglichen, eine Verfügung oder ein rechtskräftiges Urteil ohne jeden Verfahrensrahmen wieder neu aufzurollen.

In beiden Fällen befanden sich die Betroffenen in einem Verfahren, in dem die Bundesbehörde beschwerdefähige Verfügungen erlässt und Wiedererwägungsgesuche möglich sind. Unter solchen Umständen könnten nur objektive Gründe eine Nichterfüllung rechtfertigen. Das BVGer befand in seinen Verfügungen, dass der Kanton Neuenburg im ersten Fall während der sechsmonatigen Überstellungsfrist keine konkreten Massnahmen ergriffen hatte. Im zweiten Fall waren vierzehn Monate verstrichen, ohne dass der Kanton auch nur Massnahmen eingeleitet hätte, um die medizinischen Aspekte des Dossiers zu aktualisieren. Weil jegliche objektive Begründung für die Nichterfüllung der Überstellungen fehlt, hat das SEM kein Bundesrecht verletzt, als es die Bundessubventionen für diese zwei Fälle gestrichen hatte. Beide Beschwerden werden deshalb abgewiesen.

Diese Urteile können beim Bundesgericht angefochten werden.