Medienmitteilung zum Urteil B-3340/2020

Chlorothalonil: Zweite Zwischenverfügung

Das Bundesverwaltungsgericht heisst Anträge der Syngenta Agro AG auf vorsorgliche Massnahmen gut. Das Bundesamt für Lebensmittelsicherheit und Veterinärwesen ist gehalten, vier Abbauprodukte von Chlorothalonil einstweilen nicht als «toxikologisch relevant» zu bezeichnen.

18.02.2021

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Foto: Keystone
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Infolge der Überprüfung von Bewilligungen von Pflanzenschutzmitteln kam es im Dezember 2019 zum Verbot von chlorothalonilhaltigen Pflanzenschutzmitteln durch das Bundesamt für Landwirtschaft (BLW). Im Zentrum stand die Frage, wie sich der Chlorothalonil-Einsatz auf das Grundwasser und damit auf das Trinkwasser auswirke. Im Januar 2020 erhob die Syngenta Agro AG Beschwerde gegen dieses Verbot; das Verfahren ist derzeit beim Bundesverwaltungsgericht (BVGer) hängig.

 

Das Bundesamt für Lebensmittelsicherheit und Veterinärwesen (BLV) war am Überprüfungsverfahren des BLW als Fachbehörde beteiligt. In seinem Gutachten vom 3. Dezember 2019 hatte es vier Metaboliten (Abbauprodukte) von Chlorothalonil als «nicht relevant» eingestuft. Für diese Metaboliten gälte ein Grenzwert von 10 Mikrogramm pro Liter Trinkwasser. Zugleich hatte es erwogen, es wäre angemessen, Chlorothalonil neu als wahrscheinlich kanzerogen (Kategorie 1B) einzustufen, was automatisch die Relevanz aller Metaboliten zur Folge hätte.

 

Spätestens ab Frühjahr 2020 hielt das BLV unter anderem auf seiner Webseite fest, Chlorothalonil sei der Kategorie 1B für karzinogene Wirkungen zugeordnet und es gälten daher alle Metaboliten zwingend als relevant. Für diese gelte gemäss Trinkwasserverordnung ein Grenzwert von 0,1 Mikrogramm pro Liter. Die Syngenta Agro AG erhob dagegen Beschwerde beim Bundesverwaltungsgericht, da sie darin eine unzulässige und widersprüchliche Neueinstufung des Wirkstoffs sowie der Metaboliten sah.

 

Erste Zwischenverfügung

Die Beschwerdeführerin beantragte erste vorsorgliche Massnahmen, da ihr aus der Kommunikation des BLV ein grosser geschäftlicher Schaden entstehe. In seiner ersten Zwischenverfügung vom 24. August 2020 hiess das BVGer die Anträge auf vorsorgliche Massnahmen gut. Es wies das BLV an, einstweilen auf der Webseite eine Passage zu entfernen, gemäss welcher Chlorothalonil als wahrscheinlich kanzerogen und alle Metaboliten als zwingend relevant bezeichnet wurden. Zudem wurde angeordnet, dass ein Dokument des BLW, des BLV und von Agroscope zur Relevanz von Metaboliten vom Netz zu nehmen ist. Denn dieses Dokument bezeichnete vier Metaboliten als toxikologisch relevant, die noch im Gutachten des BLV vom 3. Dezember 2019 als nicht relevant bezeichnet worden waren (vgl. Medienmitteilung vom 28. August 2020).

 

Das BLV entfernte die Passage von der Webseite. Allerdings wurden die strittigen Angaben danach weitgehend wortgleich in eine Weisung des BLV aufgenommen. Zudem waren in der aktualisierten Fassung des Relevanz-Dokuments weiterhin die vier Metaboliten als relevant eingestuft. Ferner publizierte das Bundesamt für Umwelt (BAFU) im Mai und im August 2020 Daten zur Verunreinigung des Schweizer Grundwassers durch Chlorothalonil-Metaboliten, die auf der strittigen Grundannahme basierten, wonach sämtliche Metaboliten von Chlorothalonil «relevant» seien und für diese daher ein Grenzwert von 0,1 Mikrogramm pro Liter gelte.

 

Gutheissung erneuerter Anträge

Die Beschwerdeführerin stellte daher im September 2020 erneuerte Anträge auf vorsorgliche Massnahmen. Das Gericht heisst diese nun gut. Es weist das BLV an, die Weisung sowie das Relevanz-Dokument einstweilen vom Netz zu nehmen. Während der Dauer des vorliegenden Verfahrens hat das BLV damit insbesondere davon abzusehen, öffentlich die Relevanz der vier in Frage stehenden Metaboliten vorzugeben. Dem BAFU hat das BLV mitzuteilen, dass die Einstufung der vier Metaboliten noch im Streite liegt.

 

Das Gericht stellt namentlich darauf ab, dass die Angaben des BLV zu Medienberichten führen könnten, welche auf umstrittenen Annahmen gründen – insbesondere beim Trinkwasser-Grenzwert. Dem Gericht erscheint es glaubhaft, dass der Beschwerdeführerin ein erheblicher Schaden am geschäftlichen Ruf und an den wirtschaftlichen Interessen droht, wenn die Berichterstattung der Medien sich an womöglich unrichtigen Prämissen orientiert. Es besteht die Gefahr, dass sich die Ansicht verfestigt, der Wirkstoff Chlorothalonil verunreinige das Grundwasser und gefährde die Gesundheit der Trinkwasser-Konsumenten.

 

Erst im Hauptentscheid wird zu beurteilen sein, von welcher Einstufung von Chlorothalonil hinsichtlich Kanzerogenität (Kategorie 2 oder 1B) auszugehen ist und ob mit einer allfälligen Einteilung in die Kategorie 1B automatisch alle Metaboliten als relevant gelten. Dies führt auch zur Beantwortung der Frage, welche Trinkwasser-Grenzwerte (10 oder 0,1 Mikrogramm pro Liter) im vorliegenden Fall für diese Metaboliten anwendbar sind.

 

Diese Zwischenverfügung kann beim Bundesgericht angefochten werden.