Medienmitteilung zum Urteil F-1451/2022

Kein humanitäres Visum für afghanische Witwe

Für die Erteilung eines humanitären Visums muss die betroffene Person unmittelbar, ernsthaft und konkret an Leib und Leben gefährdet sein. Dabei muss die individuelle Gefährdung im Vergleich zur restlichen Bevölkerung im Heimat- oder Herkunftsstaat stärker sein.

12.04.2024

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Die Tatsache, dass eine afghanische Frau über kein männliches Familienoberhaupt mehr verfügt, reicht nicht aus, um ihr ein humanitäres Visum zu erteilen. (Bild: Keystone)
Die Tatsache, dass eine afghanische Frau über kein männliches Familienoberhaupt mehr verfügt, reicht nicht aus, um ihr ein humanitäres Visum zu erteilen. (Bild: Keystone)

Eine afghanische Witwe stellte bei der Schweizer Botschaft in Pakistan ein Gesuch um humanitäre Visa für sich, ihre zwei Töchter und den minderjährigen Sohn. Gegen den negativen Entscheid des Staatssekretariats für Migration (SEM) erhoben sie Beschwerde beim Bundesverwaltungsgericht (BVGer).

In einem Grundsatzurteil bestätigt das BVGer den Entscheid des SEM, wonach den Beschwerdeführenden keine humanitären Visa zu erteilen sind, bloss weil sie über kein männliches Familienoberhaupt verfügen. Das Gericht verkennt zwar nicht, dass sich die Situation für Frauen und Mädchen in Afghanistan nach der Machtübernahme der Taliban im August 2021 in vielen Lebensbereichen kontinuierlich verschlechtert hat. Davon sind jedoch alle Frauen und Mädchen in Afghanistan in ähnlicher Weise betroffen, nicht einzig die Beschwerdeführenden individuell. Das blosse Merkmal des weiblichen Geschlechts reicht auch unter Berücksichtigung der aktuellen Machtverhältnisse in Afghanistan nicht aus, um im konkreten Einzelfall offensichtlich eine unmittelbare, ernsthafte und konkrete Gefährdung im Sinne der hier massgebenden Verordnung über die Einreise und Visumerteilung zu begründen. 

Dieses Urteil ist abschliessend und kann nicht beim Bundesgericht angefochten werden.

 

Abgrenzung zu Asylverfahren
Die Möglichkeit, bei einer Schweizer Auslandsvertretung ein Asylgesuch einzureichen, wurde im Jahr 2012 abgeschafft. Stattessen wurde zum Schutze ernsthaft, unmittelbar und konkret gefährdeter Personen das Instrument des humanitären Visums geschaffen. Bei diesem wurden die Einreisevoraussetzungen restriktiver ausgestaltet, als dies beim früheren sogenannten «Botschaftsasyl» der Fall war. Das humanitäre Visum ist ein Rechtsinstitut, das nicht auf die Prüfung einer grossen Anzahl von Gesuchen in regionalen Krisensituationen ausgerichtet ist, sondern auf besonders gefährdete Einzelfälle. Die betroffene Person muss sich in einer besonderen Notsituation befinden und stärker gefährdet sein als die restliche Bevölkerung im Heimat- oder Herkunftsstaat. Einzig eine solche Gefährdung vermag die ausnahmsweise Erteilung eines Einreisevisums aus humanitären Gründen zu rechtfertigen. 


Die Erteilung eines humanitären Visums unterliegt anderen Voraussetzungen als die Anerkennung der Flüchtlingseigenschaft. Die Praxis zur Asylgewährung ist nicht direkt übertragbar auf die Prüfung eines Gesuchs für ein Einreisevisum aus humanitären Gründen.

 

Kontakt

Rocco Maglio
Rocco Maglio

Medienbeauftragter / Leiter Kommunikation a.i.