Gleichgewicht, Stabilität und Geschmeidigkeit

Wie gewinnt eine Richterin am Bundesverwaltungsgericht eine ausgewogene Work-Life-Balance? Camilla Mariéthoz Wyssen weiht uns in ihr Geheimnis ein.

27.02.2023 - Céline Jordan

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Portrait Camilla Mariéthoz Wyssen
Camilla Mariéthoz Wyssen erzählt, wie sie Beruf und Privatleben unter einen Hut bringt. Foto: Céline Jordan

Anfang 2020 begann für Camilla Mariéthoz Wyssen ein neues Leben: Im Abstand von nur wenigen Monaten wurde sie Mutter und Richterin. Die Bewerbungsfrist für das Richteramt lief bis Ende März. Ihr Sohn war mal gerade zwei Monate alt, und sie zögerte zuerst, sich zu bewerben. Doch wohlgesinnte Kolleginnen und Kollegen ermutigten sie. So wagte sie den Schritt und wurde am 17. Juni 2020 gewählt. Seit dem 1. Juli 2020 übt die frischgebackene Mutter ihr Richteramt in der Abteilung V des Bundesverwaltungsgerichts aus.

Zurück zu den Wurzeln

Camilla Mariéthoz wohnt mit ihrem Mann seit zehn Jahren in Zürich und fährt dreimal pro Woche nach St. Gallen. Da ihr Mann freiberuflich tätig ist und flexible Arbeitszeiten hat, bringt er den zweijährigen Sohn in die Kindertagesstätte und verbringt auch sonst viel Zeit mit ihm. Doch dieser Lebensrhythmus könnte sich schon bald ändern, denn den Mariéthoz Wyssens bedeutet Familie sehr viel. Sie wünschen sich für ihren Sohn eine engere Beziehung mit den Cousins und Grosseltern, die im Wallis wohnen. Zurzeit fahren sie nur alle sechs Monate dorthin, obwohl die Richterin ihren Ursprungskanton liebt, gerade wegen dem milden Klima und der Nähe zur Natur: «Zürich mit seinem grossen kulturellen Angebot ist für ein junges Paar eine schöne Stadt. Für ein Kleinkind ist sie aber zu gross und nicht so attraktiv. Darum möchten wir näher zur Familie und zur Natur ziehen und für unseren Sohn einen Garten haben.»

«Dank Familie und Yoga tanke ich auf und pflege Gelassenheit.»

Camilla Mariéthoz Wyssen

Eine Frage des Gleichgewichts

Es ist kein Kinderspiel, eine erfolgreiche Karriere zu verfolgen und möglichst viel Zeit mit der Familie zu verbringen. Trotzdem bemüht sich Camilla Mariéthoz, auch Zeit für Hobbys zu finden. Für die Richterin wäre das alles ohne Yoga gar nicht möglich. Dabei lernt und trainiert sie Stabilität, Geschmeidigkeit und Gleichgewicht im wörtlichen und auch im übertragenen Sinn. Ganz nebenbei ist sie auch diplomierte Yoga-Lehrerin und als solche weiss sie, wie wichtig Bewegung ist. Mit ausgiebigem Wandern und Joggen an der frischen Luft kompensiert sie für die Arbeit im Büro. «Mit über 40 Stunden sitzender Arbeit pro Woche, die bisweilen mit erheblichem Druck verbunden ist, fällt es nicht immer leicht, einen ausgeglichenen Lebensstil zu pflegen und den Stress zu bewältigen. Dank Familie und Yoga tanke ich auf und pflege Gelassenheit.»

Zwar entspricht das hohe Arbeitstempo ihres Amts der Walliser Richterin, doch sind einige Arbeiten manchmal schwer zu bewältigen und erfordern grosse Selbstkontrolle, damit sie auch die Aufgaben zu Hause wahrnehmen kann. «Ich bin froh, dass mein Wohn- und mein Arbeitsort weit auseinander liegen, so kann ich die beiden Welten besser voneinander trennen. Aber es stimmt schon: Die Heimarbeit, die seit der Pandemie allgegenwärtig ist, hat auch viele Vorzüge. Zwar verwischt sie die Grenzen zwischen Privat- und Arbeitsleben, doch trägt sie auch zur besseren Vereinbarkeit bei. Wieder eine Frage des Gleichgewichts, ein labiler, sich ständig verändernder Zustand. Es lohnt sich, ihn immer wieder anzustreben, um ein entfaltetes Leben zu finden.»

Portrait Camilla Mariéthoz Wyssen

ZUR PERSON

Camilla Mariéthoz Wyssen ist seit Sommer 2020 Richterin in der Abteilung V. Aufgewachsen in Sitten, hat sie an der Universität Freiburg Rechtswissenschaften studiert und im Kanton Wallis das Anwaltspatent erlangt. Nach fünf Jahren als Gerichtsschreiberin und Präsidialsekretärin in der Abteilung V arbeitete sie zwei Jahre als entsandte Juristin am Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte in Strassburg. Nach ihrer Rückkehr nach St. Gallen am 1. Januar 2020 arbeitete sie kurz als Gerichtsschreiberin, bis sie am 17. Juni 2020 zur Richterin gewählt wurde. Das Leben in St. Gallen gefällt ihr. Seit ihrer Rückkehr ans BVGer geniesst sie die Möglichkeit, die Gegend besser kennen zu lernen. In der Westschweiz ist die Ostschweiz kaum bekannt, aber Camilla freut sich, in einem so idyllischen Kanton zu arbeiten. (joe)

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