Gute Mitarbeitende finden und binden

Monika Sengör und Annette Nimzik, welche Voraussetzungen muss jemand mitbringen, um als Gerichtsschreiber oder -schreiberin am Bundesverwaltungsgericht zu arbeiten?
Annette Nimzik: Benötigt wird ein in der Schweiz abgeschlossenes Masterstudium in Rechtswissenschaften und Interesse für die einschlägigen juristischen Materien. Von grossem Vorteil ist ein Anwaltspatent und/oder ein Doktorat, was sich auch auf den Lohn auswirkt. Zudem braucht es neben der Muttersprache sehr gute Kenntnisse einer zweiten Amtssprache.
Monika Sengör: Berufserfahrung an anderen Gerichten und/oder in der Advokatur – idealerweise in den entsprechenden Rechtsgebieten – ist von Vorteil. Gefragt sind ausgeprägtes analytisches Denkvermögen, präziser sprachlicher Ausdruck, hohe Selbstständigkeit und Belastbarkeit.
Ist es zurzeit einfach oder schwierig, gutes juristisches Personal zu finden?
Monika Sengör: Gerichtsschreibende französischer Hauptsprache zu finden, ist nicht einfach, was sicher auch am Standort St. Gallen liegt. Viele Französischsprachige sehen die Erfahrung als Gerichtsschreibende am Bundesverwaltungsgericht als Karrierechance, planen aber ihren Einsatz bewusst zeitlich begrenzt, um dann wieder in ihr angestammtes Umfeld zurückzukehren.
Annette Nimzik: Nach meiner Erfahrung ist es vor allem schwierig, qualifiziertes italienischsprachiges Personal zu finden. Doch wenn jemand einmal Gefallen an der deutschen Sprache gefunden hat, bleibt er oftmals dauerhaft in der Ostschweiz. Die Region punktet mit landschaftlicher Schönheit und ihrer Nähe zu Österreich und Deutschland.
«Bisher konnten wir unsere Stellen gut besetzen, aber wir müssen je länger je mehr selbst aktiv werden, um gute Leute zu bekommen.»
Monika Sengör, Personalbereichsleiterin
Sind die Bleibe-Absichten ein Thema bei Ihren Bewerbungsgesprächen?
Annette Nimzik: Ja, wir fragen die Bewerbenden nach ihren beruflichen Zielen. Manche haben eine klare Strategie, wollen Richterin oder Richter werden. Andere möchten sich einfach als Gerichtsschreibende vertieft mit der Rechtsanwendung auseinandersetzen. Und einige haben das Berufsziel Anwalt, wollen aber zuvor die Justiz von innen kennenlernen.
Monika Sengör: Da eine Richterkarriere nicht planbar ist, ist es wichtig, dass wir unseren Gerichtsschreibenden Entwicklungsmöglichkeiten anbieten können. Solche sind zum Beispiel die Beförderung zu Gerichtsschreibenden II, die Arbeit im Pool oder eine Tätigkeit im Präsidialsekretariat.
Welche Erfahrungen machen Sie mit der Generation Z? Tickt sie wirklich anders?
Annette Nimzik: Junge Menschen haben schon immer anders getickt als ältere – das ist eine ganz normale Phase des Menschseins. Was man heute der Generation Z zuschreibt – der Wunsch nach Flexibilität und der Vereinbarkeit von Erwerbsarbeit und Familie oder anderen Interessen – hat für Frauen schon immer zur Karriere gehört. Heute ist das flexible Arbeiten dank technischer Möglichkeiten einfacher geworden. Früher war man ans Büro gebunden; da hiess es am Schluss eines Briefs höchstens mal «nach Diktat verreist».
Monika Sengör: Bei der Arbeit legen Angehörige der Generation Z viel Wert auf persönliche Entfaltung, Sinnhaftigkeit und persönliche Freiheit. Sie sehen die Karriere nicht unbedingt als Leiter, sondern als individuellen Berufsweg, der ihren Werten und Stärken entspricht – Stichwort Mosaikkarriere. Arbeitgeber müssen flexibel sein und ihren Erwartungen so gut wie möglich entgegenkommen – mit flexiblen Arbeitszeitmodellen, Homeoffice, IT-Infrastruktur etc. Beim aktuellen Fachkräftemangel ist es in jeder Hinsicht herausfordernd, gute Mitarbeitende zu finden und zu binden.
Manche Firmen beordern ihre Leute aktuell aus dem Homeoffice zurück ins Büro und stossen auf Widerstand. Wie sieht das am Bundesverwaltungsgericht aus?
Monika Sengör: Mit Blick auf die Generation Z kann ich mir nicht vorstellen, dass diese das Bundesverwaltungsgericht ohne das Homeoffice-Angebot als fortschrittlichen Arbeitgeber taxieren würde.
Annette Nimzik: Homeoffice ist ein klares Bedürfnis. Stundenlanges Pendeln bedeutet Stress, und zudem kann man im Homeoffice besser seinem Biorhythmus folgen. Das wirkt sich auf die Arbeitsleistung positiv aus. Früher mussten sich die Menschen den Arbeitsstrukturen anpassen, heute ist es umgekehrt. Die Vorgesetzten müssen sich heute mehr darum bemühen, ihre Mitarbeitenden zu halten.
Welche Tendenzen beobachten Sie auf dem Arbeitsmarkt?
Monika Sengör: Bisher konnten wir unsere Stellen gut besetzen, aber aufgrund des Fachkräftemangels müssen wir je länger je mehr selbst aktiv werden, um gute Leute zu gewinnen. So geht es auch Anwaltskanzleien, die junge Talente bereits während des Studiums an sich binden. Weitere Stichworte sind Demografie – im Jahr 2030 folgen auf 250 pensionierte Juristen nur 100 Jus-Studentinnen – sowie der digitale Umbau und die künstliche Intelligenz. Zudem ist die Justiz zunehmend in Frauenhand: An der Uni Zürich sind aktuell zwei Drittel der Studierenden weiblich; 2023 waren bereits mehr Staatsanwältinnen als -anwälte tätig. Und schliesslich ist der Arbeitsmarkt von der allgemein-gesellschaftlichen Loyalitätskrise geprägt: An Stelle der Loyalität tritt zunehmend Flexibilität und Selbsterfüllung.
«Was man heute der Generation Z zuschreibt – der Wunsch nach Flexibilität und der Vereinbarkeit von Erwerbsarbeit und Privatleben – hat für Frauen schon immer zur Karriere gehört»
Annette Nimzik, Personalbereichsleiterin
Was zeichnet das Bundesverwaltungsgericht als Arbeitgeber aus?
Annette Nimzik: Neben dem Imagegewinn bietet das Bundesverwaltungsgericht fortschrittliche Anstellungsbedingungen und ein hochwertiges Arbeitsumfeld, das quasi seine hochstehende Rechtsprechung spiegelt. Der kompetitive Aspekt hält sich in Grenzen; die Gerichtsschreibenden können sich ihren Fällen widmen. Auch für das leibliche Wohl ist mit der Cafeteria gesorgt. Und Ferien können wirklich als solche genutzt werden; man muss nicht ständig online sein. Das habe ich schon anders erlebt.
Monika Sengör: Zudem sind am BVGer alle Sprachen und Kulturen der Schweiz vertreten. Auch die Arbeitsplatzsicherheit ist sehr wertvoll. Wir haben es zuletzt in der Coronapandemie gesehen: Während viele um ihre Arbeit bangten oder ihr Einkommen von einem Tag auf den anderen wegfiel, mussten wir uns zu keiner Zeit Sorgen um unseren Arbeitsplatz machen.