Medienmitteilung zum Urteil F-5298/2024

Untersuchungspflicht vor einer Dublin-Überstellung nach Griechenland

Das Staatssekretariat für Migration hat die Situation von Asylsuchenden in Griechenland abzuklären und zur Frage Stellung zu nehmen, ob systemische Mängel vor Ort bestehen oder nicht, bevor es eine Überstellung in dieses Land anordnet. Dies hat das Bundesverwaltungsgericht entschieden.

27.06.2025

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Das SEM hat gemäss Bundesverwaltungsgericht die relevanten und aktuellen Tatsachen im Zusammenhang mit der Situation von Asylsuchenden in Griechenland festzustellen, bevor es eine Überstellung in diesen Staat anordnet. (Bild: Keystone)
Das SEM hat gemäss Bundesverwaltungsgericht die relevanten und aktuellen Tatsachen im Zusammenhang mit der Situation von Asylsuchenden in Griechenland festzustellen, bevor es eine Überstellung in diesen Staat anordnet. (Bild: Keystone)

Im August 2024 trat das Staatssekretariat für Migration (SEM) auf das Asylgesuch eines türkischen Staatsangehörigen nicht ein und verfügte gestützt auf die Dublin-III-Verordnung seine Überstellung nach Griechenland. Dabei stützte es sich auf eine Zusicherung der griechischen Behörden gemäss der Empfehlung 2016/2256 der Europäischen Kommission vom 8. Dezember 2016, dem Betroffenen Zugang zum Asylverfahren und zu einer geeigneten Unterkunft zu gewähren. Der Betroffene hat den Entscheid des SEM beim Bundesverwaltungsgericht (BVGer) angefochten.

Zusammenfassung der aktuellen Rechtsprechung zu Überstellungen nach Griechenland
Das BVGer stellt in einem Referenzurteilfest, dass die Rechtsprechung des EGMR aus dem Urteil M.S.S. gegen Belgien und Griechenland vom 21. Januar 2011 und seine eigene Rechtsprechung gemäss den Urteilen BVGE 2011/35 und BVGE 2011/36 nicht verworfen wurde und bis heute gültig ist. Aus der genannten Rechtsprechung geht hervor, dass im griechischen Asylsystem systemische Mängel festgestellt wurden. Die Vermutung, wonach alle Mitgliedstaaten des Dublin-Raums sichere Länder sind und das Non-Refoulement-Prinzip achten, ist im Fall Griechenlands hinfällig geworden. Die Überstellung in diesen Staat kann jedoch ausnahmsweise nach einer individualisierten Prüfung als rechtmässig erachtet werden.

Verletzung des Untersuchungsgrundsatzes
Gemäss BVGer hat das SEM im vorliegenden Fall seine Untersuchungspflicht verletzt. Einzig auf die Zusicherung der griechischen Behörden und auf die Empfehlung 2016/2256 der Europäischen Kommission abzustellen, ohne sich explizit zur Frage zu äussern, ob in Griechenland gegenwärtig systemische Mängel bestehen oder nicht, genügt nicht, um die Überstellung des Beschwerdeführers in dieses Land anzuordnen. Dies umso weniger, als die erwähnte Empfehlung aus dem Jahr 2016 stammt und die Praxis des SEM in den letzten Jahren darin bestand, (fast) keine Überstellungen nach Griechenland zu verfügen. Vielmehr muss das SEM die relevanten und aktuellen Tatsachen im Zusammenhang mit der Situation von Asylsuchenden in Griechenland feststellen, bevor es ausdrücklich festhält, ob vor Ort weiterhin systemische Mängel bestehen und eine Überstellung des Beschwerdeführers in diesen Staat möglich ist.

Das BVGer heisst demnach die Beschwerde gut, hebt den Entscheid des SEM auf und weist die Sache zur vollständigen Sachverhaltsfeststellung und Neubeurteilung an dieses zurück. Dieses Urteil ist endgültig und kann nicht beim Bundesgericht angefochten werden. 

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Dieses Urteil analysiert die Situation in einem bestimmten Land und die darin vorgenommene rechtliche Würdigung ist über den Einzelfall hinaus für eine Mehrzahl von Verfahren gültig.

Kontakt

Rocco Maglio
Rocco Maglio

Medienbeauftragter