Medienmitteilung zum Urteil A-6444/2020

Massenüberwachung der grenzüberschreitenden Kommunikation ist nicht grundrechtskonform

Die grenzüberschreitende Kommunikation wird vom Nachrichtendienst des Bundes im Rahmen der Funk- und Kabelaufklärung überwacht. In seinem Urteil stellt das Bundesverwaltungsgericht fest, dass die Funk- und Kabelaufklärung in der derzeitigen Ausgestaltung nicht konform ist mit der Bundesverfassung und der EMRK. Der Gesetzgeber erhält Gelegenheit, die Mängel im Rahmen der laufenden Gesetzesrevision zu beheben.

02.12.2025

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Die Funk- und Kabelaufklärung ist in der derzeitigen Ausgestaltung nicht konform mit der Bundesverfassung und der EMRK. (Bild: Keystone)
Die Funk- und Kabelaufklärung ist in der derzeitigen Ausgestaltung nicht konform mit der Bundesverfassung und der EMRK. (Bild: Keystone)

Der Nachrichtendienst des Bundes (NDB) beschafft mit der Funk- und Kabelaufklärung Informationen über sicherheitspolitisch bedeutsame Vorgänge im Ausland. Er erfasst hierzu die grenzüberschreitende Kommunikation und durchsucht diese anhand von Suchbegriffen. Rein schweizerische Kommunikation – Kommunikation, bei der sich Sender und Empfänger in der Schweiz befinden – darf nicht verwendet werden. Der Verein Digitale Gesellschaft und mehrere Privatpersonen, darunter Journalisten und ein Rechtsanwalt, rügen eine Verletzung ihrer Grundrechte und verlangen, dass der NDB die Funk- und Kabelaufklärung unterlässt. Das Bundesgericht hielt in seinem Urteil 1C_377/2019 fest, mit der Funk- und Kabelaufklärung würden breite Funk- und Datenströme erfasst (sog. Massenüberwachung). Es bestehe daher das Risiko, dass auch Daten der Beschwerdeführenden bearbeitet würden. Die Beschwerdeführenden seien berechtigt, die Unterlassung der Funk- und Kabelaufklärung zu verlangen. Das Bundesgericht wies das Bundesverwaltungsgericht (BVGer) an, das System der Funk- und Kabelaufklärung auf seine Übereinstimmung mit der Bundesverfassung und der Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten (EMRK) hin zu überprüfen.

Anforderungen an die Massenüberwachung der grenzüberschreitenden Kommunikation
Die Staaten sind nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) grundsätzlich berechtigt, ein Regime zur Massenüberwachung einzuführen. Mit der Funk- und Kabelaufklärung ist jedoch eine Beeinträchtigung der Grundrechte der Beschwerdeführenden verbunden. Diese kann im Interesse der nationalen Sicherheit gerechtfertigt werden. Die Grosse Kammer des EGMR verlangte in seinem Urteil Big Brother Watch und andere gegen Vereinigtes Königreich, dass der Prozess der Massenüberwachung durchgehenden Garantien zum Schutz vor Missbrauch unterworfen wird. Besonderes Gewicht legte der EGMR auf die vorgängige unabhängige Genehmigung einer Massenüberwachung, die durchgehende Beaufsichtigung durch eine unabhängige Behörde und das Bestehen eines wirksamen Rechtsmittels zur nachträglichen Überprüfung einer Überwachung. Das BVGer hat das Regime der Funk- und Kabelaufklärung anhand dieser Anforderungen überprüft.

Keine ausreichenden Garantien zum Schutz vor Missbrauch
Das BVGer hält in seinem Urteil fest, dass die Umstände, unter denen die Kommunikation im Rahmen einer Funk- und Kabelaufklärung überwacht werden dürfen, hinreichend vorhersehbar sind. Zudem muss die Kabelaufklärung vorab durch ein unabhängiges Gericht genehmigt werden. Insgesamt bietet jedoch das anwendbare Recht keinen ausreichenden Schutz vor Missbrauch. So ist nicht gewährleistet, dass der NDB nur erhebliche und richtige Daten bearbeitet und das anwendbare Recht enthält keine Vorkehren zum Schutz von journalistischen Quellen und anderer besonders schützenswerter Kommunikation wie jener zwischen Rechtsanwalt und Mandant. Schliesslich ist weder eine hinreichend effektive Beaufsichtigung der Informationsbeschaffung gewährleistet, noch steht Betroffenen wie den Beschwerdeführenden ein hinreichend wirksames Rechtsmittel für eine nachträgliche Überprüfung zur Verfügung. Das Regime der Funk- und Kabelaufklärung ist daher nicht konform mit der Bundesverfassung und der EMRK. Die Beeinträchtigung der Grund- und Konventionsrechte der Beschwerdeführenden kann nicht gerechtfertigt werden.

Bei diesem Ergebnis müsste die Funk- und Kabelaufklärung als Ganzes unterlassen werden. Das Nachrichtendienstgesetz soll jedoch revidiert werden. Vor diesem Hintergrund und mit Blick auf die Bedeutung der Funk- und Kabelaufklärung für die Informationsbeschaffung ist dem Gesetzgeber die Gelegenheit zu geben, die Mängel im Rahmen der laufenden Gesetzesrevision zu beheben. Hierfür erscheint eine Frist von 5 Jahren als angemessen. Sollte innert dieser Frist kein mit der Bundesverfassung und der EMRK konformer Zustand hergestellt worden sein, ist die Funk- und Kabelaufklärung zu unterlassen. 

Dieses Urteil kann beim Bundesgericht angefochten werden.

Kontakt

Rocco Maglio
Rocco Maglio

Medienbeauftragter