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«Die Unabhängigkeit der dritten Gewalt ist essenziell»

Claudia Cotting-Schalch, Sie sind seit Januar Präsidentin des Bundesverwaltungsgerichts. Wie haben Sie diese erste Zeit erlebt?
Als ebenso intensiv wie interessant. Das Amt bringt viele Aussenkontakte mit sich; als Gerichtspräsidentin stehe ich in Verbindung mit dem Bundesgericht, der Finanz- und der Geschäftsprüfungskommission und zahlreichen anderen Stellen. Zudem findet ein intensiver Austausch mit fast allen Bereichen des Generalsekretariats statt. Die Präsidiumsaufgaben empfinde ich insgesamt als vielfältig, spannend und herausfordernd; sie machen mir viel Freude. Was mir in dieser ersten Zeit sehr bewusst geworden ist, ist die Grösse unseres Gerichts: Jede Abteilung ist ein Gericht für sich und hat eine eigene Kultur.
Was bedeutet das für Sie als Gesamtgerichtspräsidentin?
Als Vorsitzende der Verwaltungskommission muss ich stets das ganze Gericht präsent haben. Es ist mir bewusst, dass jeder unserer Entscheide einen Einfluss auf die Organisation hat. In Bezug auf die Kommunikation ist es wichtig, dass die betroffenen Leute zeitnah über unsere Entscheide informiert werden. Dabei habe ich gute Erfahrungen damit gemacht, direkt auf Betroffene zuzugehen. Es ist uns als Verwaltungskommission wichtig, dass alle am Gericht Beschäftigten wissen, was wir tun und entscheiden. Deshalb legen wir grossen Wert auf eine klare, transparente und direkte Kommunikation.
Sie sind weiterhin auch als Richterin der Abteilung VI tätig. Wie schaffen Sie es, die beiden Aufgaben unter einen Hut zu bringen?
Da die Aufgaben umfangreich und komplex sind, ist das Zeitmanagement essenziell. Ich wende die Eisenhower-Matrix an, teile also alles, was an mich herangetragen wird, in vier Kategorien ein: Die wichtigen und dringenden Aufgaben erledige ich sofort, die wichtigen und nicht dringenden terminiere ich für später. Die dringenden, aber nicht wichtigen delegiere ich, und die nicht dringenden und nicht wichtigen wandern in den Papierkorb.
«Die professionelle und effiziente Umstellung auf die digitale Justiz und das digitale Dossier sind mir ein grosses Anliegen.»
Claudia Cotting-Schalch, Präsidentin Bundesverwaltungsgericht
Was motiviert Sie, sich als Präsidentin für das Bundesverwaltungsgericht einzusetzen?
Ich sehe mein Amt als Dienst an einer gut und effizient funktionierenden Justiz. Gerade in einer chaotischen Welt, wie wir sie zurzeit erleben, ist die Unabhängigkeit der dritten Gewalt essenziell. In einem so grossen Gericht wie dem unsrigen ist es wichtig, dass alles möglichst reibungslos funktioniert. Zusätzlich motiviert und freut es mich, dass ich täglich in all meinen drei Sprachen kommunizieren kann.
Wie ist das Bundesverwaltungsgericht nach Ihrer Einschätzung unterwegs?
Insgesamt sehr gut. Aktuell stehen Aufbau, Austesten und Einführen der neuen Informatik an – eine grosse Herausforderung für das Gericht. Die professionelle und effiziente Umstellung auf die digitale Justiz und das digitale Dossier sind mir ein grosses Anliegen. Dies umso mehr, als uns zu diesem Zweck bedeutende finanzielle Mittel zur Verfügung gestellt wurden. Von der Neugestaltung der Arbeit sind alle betroffen – von der Zentralen Kanzlei über die Abteilungskanzleien bis zu den am Urteil mitwirkenden Personen. Auch wenn wir bereits heute grösstenteils digital arbeiten, so führen wir parallel dazu für jedes Verfahren ein Papierdossier, was Mehraufwand bedeutet. Insofern kann ab dem Moment, in dem der Rechtsprechungsprozess durchgehend digitalisiert ist, auch die Effizienz gesteigert werden.
Was beschäftigt Sie neben der Digitalisierung sonst noch?
Die Zunahme der Beschwerden um 12 Prozent im vergangenen Jahr hat zu einer Überlastung des Gerichts geführt. Während der ersten Monate dieses Jahres waren zudem die Eingänge, vor allem in den Abteilungen IV und V, weiterhin sehr hoch. Es ist mir wichtig, dass wir in den nächsten zwei Jahren die bewilligten Ressourcen von fünf Richter- und 15 Gerichtsschreiberstellen voll ausschöpfen. Wir haben eine Verpflichtung gegenüber dem Parlament, weshalb diese Ressourcen zu einem messbaren Resultat führen müssen. Wir dürfen uns also keineswegs zurücklehnen, sondern müssen alles daransetzen, so viele Fälle wie nur irgend möglich abzubauen und unsere Pendenzen in den Griff zu bekommen. Ich bin zuversichtlich, dass uns das gelingt, wenn wir alle am selben Strang ziehen. Dafür ist es wichtig, dass wir vertrauensvoll zusammenarbeiten.
Haben Sie einen Wunsch an die am Gericht beschäftigten Personen?
Nicht nur einen, sondern drei: Ich wünsche mir, dass sich alle in ihrer Funktion und in den verschiedenen Organen des Gerichts mit Vertrauen und Zuversicht für das optimale Funktionieren des Gerichts einsetzen. Es muss uns bewusst sein, wie wichtig eine gut funktionierende, zuverlässige, unabhängige und effiziente Justiz ist. Sie ist das A und O in einem Rechtsstaat und unerlässlich zur Sicherung unserer Demokratie. Ich wünsche mir zweitens, dass alle auf ihrer Stufe ihre Handlungen entsprechend ausrichten und Verantwortung dafür übernehmen. Wir arbeiten für etwas enorm Wertvolles, dem wir Sorge tragen müssen. Und drittens wünsche ich mir, dass alle so viel Freude an ihrem Tun haben wie ich. Denn eine Arbeit macht man nur gut, wenn man Freude daran hat und sie in einem wertschätzenden Umfeld ausüben kann.

ZUR PERSON
Claudia Cotting-Schalch gehört dem Bundesverwaltungsgericht seit seiner Gründung an. Sie war Mitglied der provisorischen Gerichtsleitung (November 2005 bis Ende 2006), gehörte ab Januar 2007 der Abteilung IV an und ist seit 2021 Richterin der Abteilung VI. Im Lauf dieser Zeit übte die perfekt dreisprachige Freiburgerin und Schaffhauserin verschiedene Zusatzfunktionen aus, war Kammer- und Abteilungspräsidentin, leitete die Präsidentenkonferenz, amtete als Mitglied der Verwaltungskommission und Vizepräsidentin. An der Spitze des Gerichts steht sie seit dem 1. Januar dieses Jahres.
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